Porträt

Das Naim-Projekthaus in Hamburg

1.1.2011 von Stefan Schickedanz

Nicht nur Unterhaltungselektronik, auch die übrige Haustechnik per Knopfdruck zu steuern, das ist das Ziel von Naim Audio aus Salisbury. Naim, eigentlich ein klassischer High-End-Audio-Spezialist, hat sich dafür mit dem amerikanischen Hersteller NetStreams zusammengetan. Wir haben das NaimNet-Projekthaus bei Hamburg besucht.

ca. 5:35 Min
Ratgeber
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Projekthaus Waldesruh
Sehr gut verteilt
© connected-home

Auf dem Weg zum vernetzten Haus schienen die klassischen Hi-Fi-Spezialisten mit audiophilen Ambitionen eine Art letzte Bastion zu verkörpern, die an Althergebrachtem festhält.

Doch mit Naim Audio aus Salisbury hat sich ein Hardliner in Sachen Sound auf die Seite der Netzgemeinde geschlagen. Mit NaimNet, einem Standard, der auf der technischen Basis des US-Entwicklungspartners Net-Streams (DigiLinX und StreamNet) aufbaut, geht das kleine englische Traditionsunternehmen einen riesigen Schritt in Richtung Zukunft.

Um Kunden und Händler damit nicht zu überfordern und den Beweis für den tadellosen Klang und die ausgeklügelte Bedienphilosophie in der Praxis zu erbringen, entschloss sich der deutsche Naim-Vertrieb Music Line, ein Musterhaus in einem Villenviertel einer kleinen Gemeinde südlich von Hamburg zu bauen.

Dort bezog Vertriebschef Andreas Kayser sein neues Domizil, das er als Versuchsküche und Demonstrationsobjekt zur Verfügung stellte. Hier findet er mit seiner Familie Ruhe und Erholung, denn fast alles funktioniert hier vollautomatisch via iPod-Fernbedienung über WLAN oder über kleine Terminals mit Bildschirm in jedem Raum: Rollläden und Sonnensegel bewegen sich wie von Geisterhand, das Licht und die Musik im ganzen Haus lassen sich zentral steuern.

Ein riesiger Schritt

Zunächst kommt dieser sprunghafte Fortschritt etwas überraschend, denn Naim war lange dafür bekannt, stoisch an gewachsenen Traditionen festzuhalten. So vertrauten die Briten noch auf die klanglich überlegenen DIN-Buchsen, als Cinch schon längst allgemeiner Standard für Heim-Audio war.

Mit dem ersten CD-Player ließen sie sich fast zehn Jahre länger Zeit als die Konkurrenz, schafften dann aber mit dem CDS auf Anhieb den Sprung an die Spitze der internationalen Bestenlisten.

Jetzt kommt das Unternehmen mit einer State-of-the-Art-Netzwerk-Lösung, die den dynamischen Klang bietet, den die klassische Naim-Klientel erwartet und der gleichzeitig Hausfrauen mit höchstem Komfort beglücken soll. Dieser Gewaltakt gelang nur in Zusammenarbeit mit den ca. 100 Entwicklern von NetStreams, die seit rund zehn Jahren am Heimnetzwerk bastelten.

Auf britischer Seite kamen noch einmal 20 Ingenieure für gut fünf Jahre hinzu. Heraus kam eine Lösung, die Audio-Streaming mit voller CD-Auflösung von 16 Bit mit 44,1 kHz gestattet.

Darin liegt der Schlüssel zum tadellosen Klang, denn so entfällt nicht nur jegliche Datenkompression, sondern auch jede Umwandlung der Original-CD-Daten. Zudem werden auch die Plattencover übertragen und auf den Bedien-Panels oder auf dem als Fernbedienung fungierenden iPod touch angezeigt.


Die Bandbreite des Netzwerks reicht locker aus. Anders als bei uPnP-Audio-Streaming lassen sich mit NaimNet von einem der markeneigenen Audio-Server zeitgleich bis zu sechs unterschiedliche Audio-Streams an beliebig viele Clients verteilen.

Damit können die vier Familienmitglieder zur gleichen Zeit ihre individuelle Wunschmusik im ganzen Haus hören, was sich dank der einfachen Bedienung etwa so anfühlt, als hätte man in jedem Raum seinen eigenen iPod mit der Anlage verbunden.

In Wirklichkeit steht der NS01 Music Server mit 1 Terabyte Kapazität für 1.500 unkomprimierte, Bit-identisch gespeicherte CDs im Heizungsraum des mit Erdwärme gespeisten Niedrigenergiehauses, wo die gesamte System-Infrastruktur von NaimNet angesiedelt ist. Diese besteht im Wesentlichen aus Ethernet-Routern und intelligenter Lichttechnik, die vom britischen Anbieter Mode Lighting beigesteuert wird.

Dazu kommen unter anderem ein TV-Multiplexer und jede Menge Kabel: im ganzen Haus rund drei Kilometer und über einen halben Kilometer vierfach geschirmtes Antennenkabel von Hirschmann, denn wegen Problemen mit dem Kopierschutz und wegen zusätzlicher Komplexität verzichtete Kayser bei seinem ersten Heimvernetzungsprojekt auf digitale Video-Distribution in den eigenen vier Wänden.

NetStreams bietet diese Möglichkeit, auch wenn Kayser nur die Steuerfunktionen nutzt, um den analogen TV-Multiplexer über DigiLinX überall kontrollieren zu können.

Kayserliches Gefühl

Zur Steuerung dienen nicht nur zehn Touchscreens, sondern auch zwei Apps für iPhone und iPod touch. Die eine kommt von Naim selbst und ist nur für den Musik-Server gedacht. Neben dieser kostenlosen Fernbedienung gibt es noch die DigiLinX App von NetStreams, für die über 100 Euro zu berappen sind.

Dafür gibt es viele sinnvolle Funktionen - sogar von außen lässt sich das Haus damit via 3G-Mobilfunk kontrollieren. Und gegen die deutlich sechsstellige Summe, die dieses Musterprojekt verschlungen hat, fällt diese Anschaffung nicht ins Gewicht.

In puncto Coolness-Faktor und Vorführeffekt steht die Anlage ganz vorne. Andreas Kayser sitzt auf der Couch seines Wohnzimmers, lehnt sich zurück, steuert genussvoll das Licht von seinem iPod touch und wählt einen Song von Phil Collins aus, der über das Netzwerk mit bemerkenswerter Dynamik und glasklarer Auflösung abgefahren wird.

Im Grunde genommen wäre das aufwendige High-End-Audio-System von Naim autark spielfähig: Es besitzt nicht nur einen CD-Player, sondern auch einen eigenen Music Server Naim Audio HDX.

Doch über eine besonders smarte Komponente hält die Hauptanlage Anschluss ans Heimnetzwerk: Die Multi-Room-Amps vom Typ NNP02 sind neben der großen Variante NNP01 die Knotenpunkte von NaimNet. Über Ethernet stellen sie die Verbindung zum Netzwerk her, empfangen Audio-Dateien und Steuerbefehle.

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Klein, aber fein: Im Esszimmer setzt Andreas Kayser Naim-n-SAT-Satellitenboxen mit Naim-Subwoofer vom Typ n-SUB ein.
© connected-home

Doch sie können noch mehr: Ihre eingebauten High-Performance-A/D-Wandler digitalisieren Signale aus den analogen Eingängen und stellen sie im ganzen Netzwerk bereit. So lässt sich beispielsweise ein lokaler Tuner oder CD-Player auch in anderen Räumen hören. Digital-Quellen mit digitalen Lichtleiter- oder Koaxial-Ausgängen können ihre Signale ebenfalls mit Hilfe eines NNP01 oder NNP02 ins Netzwerk einspeisen.

In Nebenräumen, wo nicht wie im Wohnzimmer eine Vor-/Endstufen-Kombination bereitsteht, können die vernetzten Multi-Room-Amps direkt die Lautsprecherboxen antreiben. Doch Kayser verwendet nicht überall Boxen. In den Badezimmern kommen Deckeneinbau-Lautsprecher von B&W zum Einsatz, die in Verbindung mit den Naim Amps mächtig Druck machen, ohne optisch aufzufallen. So lässt sich beim Zähneputzen Frühstücksradio genießen.

Auf den Rest der Familie muss Andreas Kayser keine Rücksicht nehmen, denn Naim hat auch eine neue Generation von Tunern geschaffen. Jeder NNT01 hat vier UKW-DAB-Tuner in einem Gehäuse zusammengefasst, die ihre Programme über NaimNet kontrolliert via Ethernet im ganzen Haus zur Verfügung stellen.

Big Brother is watching

Wer Video-Überwachung installiert hat, kann mit der iPhone App von NetStreams sogar deren Video-Streams anschauen: entweder formatfüllend oder als mehrere Briefmarken im Überblick. Sollte morgens der Postbote klingeln, lässt sich die ganze Situation von überall im Haus überblicken.

Als besondere Stärke von NaimNet sieht Manager Alan Ainslie den Verzicht auf einen sonst üblichen zentralen Controller an, der bei einem Ausfall das ganze System lahmlegen könnte. Sollte beim dezentral organisierten NaimNet eine Komponente ausfallen, bliebe das ohne Einfluss auf den Rest des Systems.

So würde etwa ein defekter Multi-Room-Amp nur die Audio-Verbindung im betroffenen Raum behindern, während die Touchscreens in diesem Zimmer und der Rest des Netzwerks ihre Funktion behielten. Ein weiterer Vorteil: Das System basiert auf dem IP-Standard und lässt sich daher leicht aktivieren und aus der Ferne via Internet warten.

"Wenn mir der Eigentümer seine Zugangsdaten anvertraut, kann ich vom Hauptquartier Rosengarten aus sofort sehen, wenn etwas ausgefallen ist, und das Ersatzteil gleich mitbringen. Das spart Geld und Zeit", schwärmt Netzwerk-Spezialist Mika Dauphin, der bei Music Line für NaimNet zuständig ist.

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Projekthaus "Waldesruh"
© connected-home

Damit die Händler Zeit und Nerven sparen, möchte Music Line alles aus einer Hand anbieten. So können die Vertragspartner nicht nur die Naim- und NaimNet-Komponenten aus Rosengarten beziehen, sondern auch die Beleuchtungstechnik von Mode Lighting und die Hard- und Software von NetStreams.

Sollte ein Run auf das Haus "Waldesruh" einsetzen, das alles andere als still ist, wenn man die geballte Naim-Power auskostet, hat Andreas Kayser vorgesorgt: Der Rasenmäher ist ein echter Roboter, der keinerlei Betreuung braucht.

Kilometer-Leistung

Hier einige Highlights des Projekthauses "Waldesruh":

  • ca. 3 Kilometer Ethernet-Kabel
  • ca. 600 Meter vierfach geschirmtes Hirschmann Antennenkabel
  • ca. 100 Meter Naim-Audio-NACA-5-Lautsprecherkabel
  • 16 Naim-Audio-Lautsprecher, 2 Naim-Audio-Subwoofer n-SUB, 4 Einbaulautsprecher von B&W
  • 10 Zonen-Kontroll-Verstärker NaimNet NNP02 und NNP01, 2 Zonen-Kontroll-Verstärker NetStreams SpeakerLinX SL250
  • 2 Pioneer-KRP-500A-Plasma-Bildschirme

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